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Next Generation: Generationswechsel bei Kehr

Nachgefragt: Stefanie Kehr im Interview:

Welche Aufgabe erfüllen Sie derzeit im Unternehmen?

Ich verantworte bei der Kehr Gruppe als Projektmanagerin abteilungsübergreifende Themen. Das sind hauptsächlich Projekte zur Modernisierung und Digitalisierung. Wir haben beispielsweise kürzlich das Bewerbermanagement und die Zeiterfassung digitalisiert. Ich bin aber auch in anderen Bereichen wie Kundenpflege und Vertrieb tätig. Ganz aktuell steht natürlich das Thema Corona-Impfstoffe täglich auf der Tagesordnung. Hier geht es mir insbesondere um die möglichst faire Verteilung der knappen Mengen. Vor der Pandemie war ich auch öfter mit dem Vertrieb unterwegs, um möglichst viele Kundinnen und Kunden kennenzulernen und ein Gespür für ihre Bedürfnisse zu bekommen. Und ich möchte den Apotheken zeigen, wie es in der nächsten Generation bei Kehr weitergeht.

Wie haben Sie sich auf die Aufgabe vorbereitet?

Als Schülerin und Studentin war ich viel im Unternehmen unterwegs und habe als Mitarbeiterin die Abläufe kennengelernt. In den Ferien habe ich Aushilfsjobs als Fahrerin, im Wareneingang und in der Kommissionierung gemacht. Ich weiß also, was das für ein Knochenjob ist!

Schon als Kind habe ich gemeinsam mit meinen Schwestern und Cousins gerne an den Wochenenden den Automat aufgefüllt oder aufgeräumt. Damals war es ein Abenteuerspielplatz, heute ist es mein Arbeitsplatz. (lacht) Am besten auf meine jetzige Tätigkeit hat mich aber mein Job bei Novartis in einem stark wachsenden Standort auf den betrieblichen Alltag vorbereitet. Ich habe dort rund zwei Jahre in der Personalabteilung gelernt, echten Stress auszuhalten. Ich war Ansprechpartnerin für circa 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und habe dabei viel über die Nöte und Bedürfnisse der Angestellten gelernt. Die Dimension war eine ganz andere als hier, aber ich bin froh, dass es für mich nur eine Zwischenstation war und ich die Macht- und Ränkespiele im Konzern nicht mitmachen musste. Die Mentalität eines Familienunternehmens liegt mir viel mehr.

War für Sie immer selbstverständlich, dass Sie mal in den Betrieb einsteigen?

Tatsächlich war es für mich schon lange klar, dass ich einmal ins Familienunternehmen einsteigen möchte. Meine Schwestern haben kein großes Interesse daran bekundet und für mich war das Unternehmen schon immer wie ein zweites Zuhause. Mein Vater hat es uns aber immer überlassen, auch etwas anderes auszuprobieren. Wenn ich in einem anderen Unternehmen zufrieden gewesen wäre, hätte ich mich nicht verpflichtet fühlen müssen, den Job dort aufgeben zu müssen. Mir standen alle Möglichkeiten offen.

Wenn man in der Familie eines Pharmagroßhändlers aufwächst, wie sehr bestimmen diese Themen den (Familien-)Alltag?

Natürlich waren wir als Kinder oft am Wochenende im Unternehmen unterwegs. Mein Vater hat gearbeitet und wir sind
zum Beispiel Inlineskates im Lager gefahren. Selbstverständlich war mein Vater, besonders wenn größere Projekte im
Unternehmen liefen, immer viel beschäftigt. Die konkreten Themen hat er aber weitestgehend von uns ferngehalten.
Bei uns zu Hause war die Firma dann kein so großes Thema. Abendbrottisch war Familienzeit. Heute ist das etwas anders. Wenn ich meine Eltern besuche, kommt es unweigerlich immer wieder zu Gesprächen über aktuelle Themen, die das Unternehmen betreffen. (lacht)

Ihr Vater Ulrich Kehr ist bereits im wohlverdienten Ruhestand. Tauschen Sie sich trotzdem viel über betriebliche Themen aus?

Natürlich! Ich bin erst seit 2,5 Jahren im Unternehmen und bilde mir nicht ein, schon alles gesehen und verstanden zu
haben. Wenn mir ein Thema begegnet, bei dem ich allein nicht weiterkomme, ist mein Vater fast immer mein erster Ansprechpartner. Er hat stets ein offenes Ohr und gute Ratschläge für mich. Auch wenn wir nicht jedes Mal einer Meinung sind, funktioniert das sehr gut. Er akzeptiert voll, dass jetzt eine neue Generation die Dinge etwas anders handhabt. Das rechne ich ihm hoch an.

Gibt es auch neben den Familienmitgliedern Menschen, die Sie beraten und auf Ihre zukünftigen Aufgaben vorbereiten?

Selbstverständlich ist da mein Onkel Hanns-Heinrich Kehr, der mich mit seiner ganzen Erfahrung unterstützt. Da ich mich
aber auch im Rahmen meiner Masterarbeit mit dem Generationenwechsel in Familienunternehmen auseinandergesetzt habe, sind mir auch von meinen damaligen Interviewpartnern einige Kontakte erhalten, die mir ebenfalls mit ihrer Erfahrung weiterhelfen können. Außerdem besuche ich gemeinsam mit meinem Cousin immer wieder Seminare, die uns auf den Generationenwechsel vorbereiten. Die Intes Akademie hat ein ausgezeichnetes Programm, wo wir auch mit anderen Familienunternehmern im Generationenwechsel zusammenkommen und uns austauschen können.

Gibt es ein betriebliches Thema, das Sie besonders interessiert?

Derzeit bin ich wegen meiner aktuellen Tätigkeit am stärksten in die Themen Vertrieb und Personal involviert. Das liegt mir
auch besonders am Herzen: Ich möchte einfach wissen, was die Menschen beschäftigt. Besonders faszinierend finde ich aber eigentlich unsere interne Lagerlogistik. Die Technik, die im Lager steckt, ist wirklich beeindruckend. Mein Vater vergleicht das Lager gerne mit einer elektrischen Eisenbahn und das kommt der Sache schon sehr nahe. Den Regalbediengeräten könnte ich stundenlang bei der Arbeit zusehen. (lacht)

Haben Sie sich ein bestimmtes Projekt für die Zukunft vorgenommen, das Sie im Unternehmen voranbringen wollen?

Ja, da geht es mir wahrscheinlich wie vielen Nachfolgern meiner Generation – das ist das große Projekt Digitalisierung. Obwohl wir in vielen Bereichen schon gut aufgestellt sind, gibt es noch so viele Prozesse, die sicher viel schneller und einfacher gestaltet werden könnten. Aber unser Geschäft – Medikamente von A nach B zu bringen – steht natürlich immer an
erster Stelle und wie es nun mal so ist: Um bestehende Prozesse zu optimieren, muss man viel Zeit und Ressourcen investieren. Wir schauen also, dass das Kerngeschäft läuft und gleichzeitig arbeiten wir an neuen Ideen und Angeboten für unsere Kundinnen und Kunden.

Wo sehen Sie die Stärken des privaten Pharmagroßhandels?

Wir sind einfach flexibler und kreativer in unseren Lösungen. Wenn uns ein Kunde mit einem Problem anspricht, dann können wir auch einmal eine unkonventionelle Lösung auf kurzem Dienstweg finden. Außerdem sind wir sehr nah an den Apotheken. Im Gegensatz zu so manchem Konzern sind wir darauf angewiesen, dass es unseren Kunden, den selbstständigen Apotheken in Deutschland, weiterhin gut geht. Darum entwickeln wir mit unserem Kooperationskonzept WAVE Lösungen, die die stationären Apotheken nachhaltig stärken. In einem Familienunternehmen steckt so viel Herzblut, schon allein deshalb wirtschaften wir langfristig und nachhaltig. Ich beabsichtige, mein gesamtes Berufsleben – also noch 40 Jahre – in diesem Unternehmen zu bleiben. Ich werde nicht einfach abspringen, wenn das Fahrwasser unruhiger wird. Ich widme mich diesem Unternehmen.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Familienunternehmen? Und für den privaten Pharmagroßhandel?

Eine große Herausforderung für Familienunternehmen ist häufig der Generationenwechsel. Nicht immer lassen sich geeignete Familienmitglieder finden und selbst wenn, fällt vielen geschäftsführenden Gesellschaftern der Absprung selten leicht. Nur etwa 30 Prozent der Familienunternehmen in Europa bestehen über die erste Generation hinaus und nur etwa 10 Prozent schaffen es bis zur dritten. Eine ebenso große Herausforderung entsteht durch die heutige Politik. Immer häufiger kommt es mir so vor, als würden kleine und mittelgroße Unternehmen bei der Gestaltung neuer Gesetze schlicht vergessen werden. Ein Unternehmen mit 400 Mitarbeitern beschäftigt eben keinen eigenen Lobbyisten in Berlin. Dass dann Gesetze an der Lebensrealität von mittelständischen Familienunternehmen vorbei geschrieben werden, obwohl diese den größten Teil der deutschen Arbeitsplätze stellen, ist mir absolut unverständlich. Für den Pharmagroßhandel im Speziellen ist sicher besonders das Apothekensterben eine große Herausforderung. Hier gilt es, mit unseren innovativen Lösungen die Apotheken nachhaltig zu stärken.

Welche Rolle wird der Grad an Digitalisierung zukünftig für Unternehmen spielen?

Sicher eine sehr große Rolle. Ich sehe bei uns besonders in den Themenfeldern Data Mining und Datenmanagement großes
Potenzial, aus dem man unendlich viel machen könnte. Die Ansätze sind definitiv da, aber oft laufen diesen Themen die
tagesaktuellen Aufgaben noch den Rang ab.

Hat die Pandemie aus Ihrer Sicht nachhaltige Auswirkungen auf den Pharmagroßhandel?

Ja, da bin ich mir ganz sicher. Die Pandemie wird uns leider nicht so plötzlich wieder verlassen, wie sie uns heimgesucht hat. Ich gehe auch davon aus, dass sich das Verhalten der Menschen nachhaltig geändert hat. Dadurch könnten Infektionskrankheiten es in Zukunft schwerer haben, was natürlich Auswirkungen auf unseren Umsatz hat. Auf der anderen Seite hat die Pandemie auch Fortschritt mit sich gebracht. Einige unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben festgestellt, dass sie im Homeoffice durch weniger Unterbrechungen viel besser arbeiten können. Dadurch ist eine
Win-Win-Situation entstanden: Für die Belegschaft weniger Fahrtzeit und bessere Arbeitsergebnisse für uns. Zumindest teilweise werden wir das sicher beibehalten.

Die letzten Monate waren pandemiebedingt bestimmt auch für Sie nicht einfach. Wie schalten Sie ab und tanken neue Energie?

Ich treibe sehr gerne Sport und spiele Ultimate Frisbee. Da Mannschaftssport in den letzten Monaten aber nicht möglich
war, musste ich hier für mich andere Lösungen finden. Ich bin grundsätzlich gerne an der frischen Luft, gehe wandern im Harz oder einfach spazieren. Um richtig den Kopf freizubekommen, steige ich auch gerne in Gummistiefel und arbeite im Garten meiner Eltern.

Wenn Sie nicht Pharmagroßhändlerin geworden wären, wären Sie…?

…Landschaftsarchitektin. Vielleicht habe ich ja ein falsches Bild davon, aber abgesehen von meiner Faszination für Architektur würde mich daran die Mischung aus Schreibtischjob und Gummistiefeln locken.

Ist es für Sie selbstverständlich als Frau das Unternehmen in Zukunft zu führen?

Ja, das ist es absolut. Ich fühle mich als Frau kein bisschen weniger fähig oder qualifiziert, ein Unternehmen zu führen. Das ist für mich keine Frage des Geschlechts, sondern eine Frage der Persönlichkeit. Mit Selbstbewusstsein und Gelassenheit kann man jede Situation meistern. Ich muss das Selbstbewusstsein haben, mich nicht unterkriegen zu lassen und gleichzeitig gelassen genug sein, nicht auf jede vermeintliche Provokation anzuspringen. Beides hat man oder man lernt es eben mit der Zeit. (lacht)